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Externe Reflektion zum YANGO-Projekt: Ramcy Kabuya

Der Schriftsteller Ramcy Kabuya war im Rahmen dieses Projektes an den finalen Proben und am Konzert im Hauptbahnhof Zürich dabei. Im Folgenden werden als künstlerische Perspektive auf die Arbeit Auszüge aus seiner gehörten Reflektion geteilt.
Wir möchten diese Hörerfahrung eines der ersten Konzerte unserer Arbeit extra ungefiltert und kritisch, wie sie daherkommt, stehen lassen. Teil unserer Arbeit als Musiker*innen und mit der Initiative guerillaclassics ist es, Mut zu teilen, neue Wege zu erforschen und zu gehen. Diese Einstellung kann auch an schwierige Themen und gefühlt unüberwindbare Probleme heranführen. Wir glauben jedoch daran, dass in der Evolution der Arbeit genau diese schwierigen Momente da sind, um dann durch tiefgründige Reflektion um seine Rollen und Vorhaben, zu einem später besseren Resultat zu kommen.

Herbstmorgen, Zürich. Der Tag bricht nur zögerlich an. Im und um den Hauptbahnhof herum werden umfangreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt. Das Dröhnen von Presslufthämmern und das Geräusch von hin- und herfahrenden Maschinen verfolgt die Menschen, die in die Haupthalle eintreten, wo die imposanteste der „Nanas“ schwebt, die von ihren goldenen Flügeln über unsere Köpfe getragen wird. Dort, in der Mitte des weiten, leeren Raums, stimmen Musiker ihre Instrumente. Eine Bühne in einem Kreisbogen. Fünf Künstlerinnen, fünf Sensibilitäten, fünf musikalische Hintergründe, fünf Horizonte und vor allem fünf Frauen, die so unterschiedlich sind, dass das, was sie vorschlagen, nur ein Experiment sein kann. Klänge prallen ab und sterben unter den zwanzig Meter hohen Gewölben. Es ist verstohlen, aber genug, um zu interessieren oder sogar zu faszinieren.

Kontext der Begegnung: einen Dialog (wieder-)aufbauen

Wenn dieses Projekt ein Experiment ist, dann sind die Yango Biennale Kinshasa und guerillaclassics die Laboratorien dafür. Beide arbeiten daran, die Felder der darstellenden, zeitgenössischen, visuellen und musikalischen Künste zu beackern, um mutige Künstler*innen mit ihrem Fachwissen zu fördern.(...)

Gemeinsam Wege finden und bauen...

Ein solches Abenteuer erfordert neben Talent auch Zeit, Bereitschaft, Ungebundenheit und vor allem ein Verständnis der Herausforderungen und der Kräfte, die auf dem Spiel stehen. Es reicht nicht aus, das Konzept der Klassik mit einem - wenn auch legitimen - Misstrauen zu überziehen; es ist darüber hinaus zwingend erforderlich, das, was sich in den Konfrontationen entwickelt, in seiner Klarheit zu erfassen und seine Bedeutung zu ermessen. (...)
Diese grosse Ambition, die von allen Teilnehmern geteilt wird, verlangt nach einer Art des Abstreifens, einer Art, sich frei von allen Vorurteilen und ohne Schabernack vor dem zukünftigen Werk niederzulassen. Da die Ungewissheit Teil des Prozesses ist, widmet man sich der Vielfalt der Möglichkeiten, indem man auf der Lauer liegt und die Vibrationserfahrung wachsam verfolgt. Da die Klänge, die aufeinanderprallen, nicht unverändert bleiben, da sie auf die Umgebung reagieren, wird die musikalische Geste des kreativen Interpreten zum Echo dieses Nachhalls in einem aufrichtigen Zuhören und einem tiefen „Verstehen“.
Dieser Ansatz ist gleich zu Beginn des Sets im Duo von Kay Zhang (Saxophon) und Huguette Tolinga (Perkussion, Stimme, Gesang) spürbar. Die beiden Musikerinnen versuchen, eine formlose, singende, neblige Masse zu erforschen und zu zähmen, die den Prozess fast unendlich macht und sich ständig erneuert. Sie schaffen eine Zirkularität, die sich auf ein unverwüstliches Material stützt, das aus Atemzügen und Urpulsen besteht. Die Verständigung zwischen ihnen reicht aus, um die Bedingungen für das Andocken entfernter musikalischer Stile mit einem klaren Status zu schaffen. Dies gilt für die kongolesische Rumba, die gerade von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe erklärt wurde, und für die traditionelle chinesische Musik. Beide sind durch Ideologie, Geschichte, Soziologie oder Anthropologie geprägt und geniessen zweifellos auch ausserhalb der Musik Sphäre Glaubwürdigkeit. Der gewählte Treffpunkt ist jedoch nicht der offensichtlichste, denn es geht darum, die Solo-Gitarre von Sarah Solo und die Yangqin von Chengyi Wang miteinander in Dialog treten zu lassen. Zwei Temperamente, zwei instrumentale Ansätze, die allesamt gegensätzlich sind. Die erste ist eine introspektive, zurückhaltende, glitzernde Musik. Sie trinkt aus einer lange kodifizierten und überlieferten Praxis. Chengyi Wang hat in Xi‘an eine sehr akademische Ausbildung genossen, bevor sie in Paris ein Orchester aufbaute, das hauptsächlich aus traditionellen chinesischen Instrumenten besteht. Die zweite ist expansiv, spektakulär und eruptiv, ganz im Sinne des „Sebène“, das die Rumba-Künstler im Laufe der Zeit geschaffen haben. Er ist übrigens so emblematisch, dass er als eigenständiger Stil dargestellt wird, obwohl er in Wirklichkeit nur ein Element der Komposition ist, dessen beobachtbare Effekte die Funktionsweise und das Verständnis erhellen. Zunächst einmal ist da die Erweiterung: „Sébène“ dehnt das Stück als Ganzes aus und bietet andere Möglichkeiten, die weitaus tiefer gehen als der Tanz. Oft wird er als „der tänzerische Teil“ eines Liedes definiert, aber nichts ist weniger reduzierend. Ohne ihn ist ein Lied zu Ende, aber paradoxerweise bleibt es unvollständig. Der „Sébène“ hält ihn wach und vollendet ihn, nachdem er ihm einen neuen Puls gegeben hat. Alle Gleichgewichte müssen sich in einer wahrhaftigen Begegnung finden, die weder aus einer Rumba-Neuinterpretation einer chinesischen Melodie noch aus der Übertragung eines Luba-Klassikers auf den Yangqin resultiert.
Was ist also ein Klassiker? Das, was jederzeit in der Lage ist, den kreativen Zyklus wieder in Gang zu setzen, die Notwendigkeit der Leere zu reaktivieren, um unsere Sinne wieder anzuspannen.

Wie weit sind wir gekommen?

Die Absicht des Projektes ist zweifellos grösser als das, was derzeit daraus hervorgeht, zumal die Umsetzung nicht ohne Hindernisse verläuft: strukturelle Probleme, Mobilitätspolitik, etc. Derzeit haben wir es mit einer Sondierungsarbeit zu tun, die interessant ist, aber noch verfeinert werden muss. Vielleicht wäre es sinnvoll, sich von der Idee zu verabschieden, ein Konzert vorzubereiten und zu präsentieren? Wäre es ratsam, Methoden der kulturellen Animation aufzugeben? Diese Projektion verschlingt den kreativen Horizont und bringt Mechanismen wieder ins Spiel, die der Suche und dem gegenseitigen Zuhören abträglich sind. Schliesslich wird diese Arbeit nur dann voranschreiten, wenn man sich jede Form von Bequemlichkeit verbietet, sonst wird es eine x-te schöne Idee sein, die unvollendet, grüblerisch, leichenhaft dünn ist und dem Risiko der Stagnation ausgesetzt ist, wenn kein klares Ergebnis erzielt wird. Um alle auf den Weg des Konsenses zu bringen, muss der Rahmen entwirrt werden, das Ziel muss klarer werden, insbesondere das ästhetische Ziel mit der Verbindung und Verflechtung aller Empfindlichkeiten. Wenn Musik nur Schwingung ist, muss man offensichtlich diejenige finden, die alle in die gleiche Stimmung bringt. So könnte man die Schwelle des Ausdrucks überschreiten, um die Skizzen eines neuen Geistes zu formen und aus dem Rohmaterial herauszuschneiden.


Ramcy Kabuya ist Lehrer, Journalist und Schriftsteller und hat in französischsprachiger Literaturgeschichte promoviert. Seine Arbeiten befassen sich mit ästhetischen Fragen und Intermedialität. Er ist Autor zahlreicher Publikationen für die Presse und wissenschaftliche Zeitschriften. Er arbeitet regelmässig mit der Zeitschrift africultures zusammen.